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Wie Serotonin die Kokainsucht moduliert

Im Laufe der Zeit verlieren etwa 20 % der chronischen Kokainkonsumenten die Kontrolle und werden süchtig. Es gibt Hinweise darauf, dass die unterschiedliche Wirksamkeit des Serotonin-(5-HT)-Systems im Gehirn an der Anfälligkeit für Drogensucht beteiligt sein könnte. Die relevanten Schaltkreise und zugrunde liegenden zellulären Prozesse bleiben jedoch schwer fassbar. Forscher entdeckten bei Mäusen einen synaptischen Mechanismus, der der modulatorischen Rolle von 5-HT bei der Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Übergangs in Zwang und schließlich Sucht zugrunde liegt. Kokain bindet an 5-HT-Transporter, um die 5-HT-Wiederaufnahme zu blockieren. Das erhöhte extrazelluläre 5-HT aktiviert 5-HT1B-Rezeptoren und verursacht eine präsynaptische Depression einer Projektion vom orbitofrontalen Kortex zum dorsalen Striatum. Diese Veränderungen verringern die Wahrscheinlichkeit, an diesen Synapsen eine postsynaptische Potenzierung zu induzieren, die letztendlich den Konsumzwang antreibt.

Einleitung

Entgegen der landläufigen Meinung löst Kokain ’nur‘ bei 20 % der Konsumenten eine Sucht aus. Aber was passiert in ihrem Gehirn, wenn sie die Kontrolle über ihren Konsum verlieren? Dank einer neuen experimentellen Methode haben Neurowissenschaftler einen für Kokain spezifischen Gehirnmechanismus aufgedeckt, der die Besonderheit hat, zusätzlich zu dem bei allen Drogen üblichen Anstieg des Dopamins einen starken Anstieg von Serotonin auszulösen.[1]Li, Y., et al. (2021) Synaptic mechanism underlying serotonin modulation of transition to cocaine addiction. Science. doi.org/10.1126/science.abi9086. Tatsächlich wirkt Serotonin als eine intrinsische Bremse für die Übererregung des Belohnungssystems, die durch Dopamin, den Sucht-verursachenden Neurotransmitter, ausgelöst wird.

Sucht & Abhängigkeit

Sucht ist definiert als die zwanghafte Suche nach einer Substanz trotz der negativen Folgen, während Abhängigkeit als das Auftreten eines Entzugssymptoms charakterisiert wird, deren physikalische Wirkungen von Substanz zu Substanz und individuell stark variieren, wenn der Konsum abrupt gestoppt wird. Es betrifft somit alle, während Sucht nur eine Minderheit der Konsumenten betrifft, selbst nach längerer Exposition. Schätzungsweise 20 % der Kokainkonsumenten und 30 % der Opiatkonsumenten sind süchtig.

Sucht ohne Serotonin verdreifacht sich

Um zu untersuchen, wie Kokainsucht im Gehirn entsteht, entwickelte das Forscherteam eine Reihe von Experimenten. Hier lag die spezifische Schwierigkeit darin, ein Zufallsphänomen zu beobachten, das nur einmal in fünf Fällen ausgelöst wird.

Das Experiment wurde folgendermaßen gestartet: eine große Gruppe von Mäusen lernte, sich freiwillig Kokain zu verabreichen. Anschließend wurde eine Einschränkung hinzugefügt: jedes Mal, wenn die Mäuse sich Kokain selbst verabreichten, erhielten sie einen leicht unangenehmen Reiz (Elektroschock oder Luftstrahl). Es bildeten sich daraufhin zwei Gruppen: 80 % der Mäuse stellten ihren Konsum ein, 20 % setzten trotz der Unannehmlichkeiten fort. „Dieses zwanghafte Verhalten definiert eine Sucht, die 20% der Menschen betrifft, sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen“, betont Vincent Pascoli, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Genfer Gruppe und Co-Autor dieser Studie.

Der Versuch wurde mit Mäusen wiederholt, bei denen Kokain nicht mehr an den Serotonin-Transporter gebunden war, so dass bei Kokain-Einnahme nur Dopamin anstieg, nicht jedoch Serotonin. 60% der Tiere entwickelten daraufhin eine Sucht. Die gleichen Ergebnisse ergaben sich bei einer dritten Gruppe Mäuse, bei denen das Stimulationsprotokoll für das Belohnungssystem Serotonin nicht beeinflusste. Wurde der letzteren Gruppe dann Serotonin verabreicht, sank die Suchtrate auf 20 %.

Ein empfindliches synaptisches Gleichgewicht

Beim Kokainkonsum wirken im Gehirn zwei Kräfte: Dopamin einerseits, dessen plötzlicher Anstieg zu Konsumzwang führt, und Serotonin andererseits, das diesen Zwang bremst. Sucht tritt daher auf, wenn zwischen diesen beiden Neuroregulatoren ein Ungleichgewicht entsteht und Dopamin das regulierende Serotonin übertrifft.

Dopamin fördert eigentlich synaptischen Plastizität, indem es die Verbindungen zwischen Synapsen im Kortex und denen im dorsalen Striatum stärkt. Diese intensive Stimulation des Belohnungssystems durch Kokain löst dann jedoch einen Zwang aus. Serotonin hat den gegenteiligen Effekt, indem es die durch Dopamin induzierte Verstärkung hemmt, um das Belohnungssystem unter Kontrolle zu halten.

Ausblick

Abgesehen von der Dopaminerhöhung hat jede Substanz ihre eigene Spezifität und Wirkung auf das Gehirn. Wenn die Suchtwirkung von Kokain durch Serotonin auf natürliche Weise reduziert wird, was ist dann mit anderen Drogen? Es ist geplant, dass sich diese Arbeitsgruppe nun mit Opiaten befassen, die stärker süchtig machen als Kokain, und Ketamin, was viel weniger der Fall ist. Ziel ist es, im Detail zu verstehen, wie das Gehirn auf diese Drogen reagiert und warum manche Menschen viel anfälliger für ihre schädlichen Wirkungen sind als andere.

Quellen

Quellen
1 Li, Y., et al. (2021) Synaptic mechanism underlying serotonin modulation of transition to cocaine addiction. Science. doi.org/10.1126/science.abi9086.

Über den Autor

Dr. Martin Weinand

Martin hat an der Universität zu Köln das Studium der Biologie aufgenommen, weil ihn seit seiner Kindheit die Prozesse des Lebens faszinieren. Nach seiner Promotion in Biochemie und Molekularbiologie ist er Wissenschaftler und Referent für Psychoedukation und Suchtforschung an der Lifespring Privatklinik.

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